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Merkmale offener mathematischer Spiel- und Lernfelder

Was ist eigentlich Mathematik? Und was bedeutet Mathematik für uns im täglichen Leben? Darüber nachzudenken ist wirklich spannend und lohnenswert für jeden einzelnen, denn von den Antworten hängt ab, wie wir unsere Kinder begleiten, die mathematische Welt um uns herum zu entdecken und zu erschließen. Im heutigen Blogbeitrag soll es um die Merkmale offener mathematischer Spiel- und Lernfelder gehen. Und vielleicht kam bei dem ein oder anderen von euch ja bereits die Frage auf: Was hat Mathematik eigentlich mit Spielen zu tun?

Für mich (und übrigens auch für viele andere, die sich mit dem Lernen von Mathematik beschäftigen) umfasst Mathematik zwei wesentliche Aspekte: Zum einen verbinde ich Mathematik mit etwas ästhetisch sehr schönem. Mathematik ist für mich die Wissenschaft schöner und oft auch nützlicher Muster und Strukturen, die sich aktiv, also mit vielfältigen Materialien und interaktiv, also gemeinsam mit anderen, erschließen und anwenden lassen. Und der zweite wesentliche Aspekt klingt wohl für viele von euch fast unglaublich und wie ein großes Geheimnis: Sich mit Mathematik zu beschäftigen ist wie ein Spiel. Ja du hast richtig gelesen! Viele professionelle Mathematiker lieben es mit Zahlen, Formen, Mustern usw. zu spielen und dabei mathematische Entdeckungen zu machen.

Ja und deshalb ist für mich auch ganz klar: 1. Kinder dürfen mit Mathematik spielen und 2. Kinder sollen sogar die Möglichkeit erhalten, nicht nur in der Kita sondern auch in der Grundschule und zu Hause, mathematische Phänomene spielerisch zu entdecken und zu erforschen. Und genau dafür sind die offenen mathematischen Spiel- und Lernfelder bestens geeignet.

Erste allgemeine Merkmale dieser Spiel- und Lernfelder ergeben sich aus den bekannten Merkmalen des Spiels, z.B.:

  • die intrinsische Motivation (das Spielbedürfnis kommt vom Spielenden selbst) und der Selbstzweck des Spiels,
  • die Loslösung vom Alltag (Kinder dürfen selbst in die Forscherrolle schlüpfen) und das Ausleben der Fantasie,
  • die Selbstbestimmung und Selbstkontrolle der Spielenden,
  • die Beteiligung der Emotionalität (Spielen macht Spaß), je offener die Bewältigung der Spielaufgabe ist, desto größer ist der Reiz beim Spielen und somit auch die lustvolle Spannung,
  • der vorher nicht bekannte bzw. bestimmte Ausgang beim Spielen,
  • die Notwendigkeit von Ordnung und Sicherheit gebenden (Spiel)Regeln,
  • die Wiederholung und das Ritual im Spiel sowie
  • das Erleben von Gemeinsamkeit zwischen den Spielenden.

An dieser Stelle möchte ich darauf verweisen, dass Kinder viele Dinge im Spiel lernen und dass das gemeinsame Spielen von Eltern mit ihren Kindern so bedeutungsvoll ist, nicht nur für das Lernen von Mathematik. Es ist also aus meiner Sicht völlig ausreichend, mit den Kindern zu Hause zu spielen, sich Bücher anzuschauen und zu lesen sowie viele Ausflüge in die Natur und die alltägliche Umwelt zu unternehmen. Ich werde in einem der kommenden Blogbeiträge noch ausführlicher auf die Rolle von Eltern eingehen und beispielhaft auch Möglichkeiten für alltägliche mathematische Erkundungen zu Hause aufzeigen. Die nachfolgenden didaktischen Merkmale beziehen sich eher auf einen Einsatz der Spiel- und Lernfelder im pädagogischen Kontext in der Kita bzw. in der Grundschule.

Ein ganz besonderes didaktisches Merkmal ist die Offenheit. Wie oben bereits bei den Spielmerkmalen erwähnt gilt: je offener die Herausforderung ist, desto größer ist der Reiz und somit auch die lustvolle Spannung. Aus mathematikdidaktischer Sicht können für den Einsatz offener mathematischer Spiel- und Lernfelder in der Kita und in der Grundschule folgende Merkmale genannt werden: Bei vorgegebenem thematischen Rahmen, eine möglichst große Offenheit bzgl.

  • vielfältiger Ideen und Vorgehensweisen,
  • der Kreativität und der Vielfalt möglicher Entdeckungen,
  • der Wahl von Hilfsmitteln,
  • der Dokumentation und Ergebnispräsentation,
  • der Kommunikation sowie
  • der Teilnahme und Verweildauer der Kinder.

Diese Merkmale möchte ich im Einzelnen nun genauer vorstellen.

  1. Eine Offenheit bzgl. vielfältiger Ideen und Vorgehensweisen

Die Kinder haben die Möglichkeit das Thema bzw. das mathematische Problem auf unterschiedliche, auch kreative Weise zu bearbeiten. Mögliche Vorgehensweisen sind z.B. ein intuitives Herantasten, ein ausdauerndes Probieren, ein systematisches Vorgehen oder ein abwechselndes Probieren und Nutzen erkannter Strukturen. Dabei können die Kinder mit Material handelnd tätig sein, Bilder zur Visualisierung malen bzw. mit Zahlen, Formen oder Figuren im Kopf operieren.

  1. Eine Offenheit bzgl. der Kreativität und der Vielfalt möglicher Entdeckungen

Das Thema, das Material oder anregende Impulse des Lernbegleiters sollten stets die Kreativität der Kinder unterstützen bzw. herausfordern und damit im Zusammenhang vielfältige (mathematische) Entdeckungen ermöglichen. Dies setzt eine offene und wertfreie Haltung der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte gegenüber den Ideen der Kinder voraus. Diese sind herausgefordert, unerwartete Situationen bzgl. origineller Ideen der Kinder (zunächst) auszuhalten und zu einem geeigneten Zeitpunkt zu hinterfragen bzw. selbst darüber zu reflektieren und im Idealfall aufzugreifen und auszubauen.

  1. Eine Offenheit bzgl. der Wahl von Hilfsmitteln

Den Kindern sollten zur Bearbeitung der Thematik verschiede Materialien bzw. Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die sie je nach Vorgehensweise bzw. Ideen individuell nutzen können aber nicht müssen. Möglich sind in diesem Zusammenhang die Nutzung unterschiedlicher Medien zur Informationsgewinnung (z.B. Sachbücher, Kindersuchmaschinen im Internet, …) und „Werkzeuge“ zur Informationsverarbeitung (vgl. auch die Hinweise weiter unten).

  1. Eine Offenheit bzgl. der Dokumentation und Ergebnispräsentation

Die Kinder sollten alters- und entwicklungsgemäß verschiedene Anregungen zur Dokumentation und Präsentation ihrer Entdeckungen erhalten, z.B. das Aufmalen oder Abzeichnen, das Fotografieren, das Eintragen in Tabellen oder ins Forschertagebuch, ins Portfolio oder Weltentdeckerbuch sowie das Aufbauen von Ausstellungen, das Herstellen von Postern, Lapbooks usw.

  1. Eine Offenheit bzgl. der Kommunikation

Die Fachkraft sollte die Kinder zur Kommunikation untereinander und zur Interaktion miteinander anregen. Dies bietet sich während der Forscherphase aber auch in der Präsentations- und Auswertungsphase an. Hierbei können die Kinder je nach Alter, Entwicklungsstand und Interesse zum Vergleichen, Ordnen, Begründen, Argumentieren und Prüfen angeregt werden.

  1. Eine Offenheit bzgl. der Teilnahme und Verweildauer der Kinder

In der Regel sollten Kinder selbst entscheiden, ob sie mitmachen und wie lange sie teilnehmen. Ein sensibler Lernbegleiter findet aber auch angemessene Impulse, Interessen zu wecken und die Ausdauer von Kindern zu fördern.

Wichtig ist es, den Kinder verschiedene Materialien bzw. Hilfsmittel zum Forschen und Entdecken bereitzustellen. Diese können sie dann je nach Bedarf eigenständig nutzen. Geeignet sind hier vor allem:

  • vielfältige Messinstrumente (Waagen, Messbecher, Maßbänder, …)
  • Zeichengeräte (Lineale, Schablonen, Zirkel, …)
  • Spiegel
  • Stifte (Bleistifte, Buntstifte, …)
  • Material zur Erforschung von Zahlenräumen und zum Schätzen
  • Taschenrechner
  • Baumaterialien (Pappen, Schachteln, Röhren, …)
  • Nachschlagewerke und Bücher
  • Papier, Scheren, Klebematerial

Bevor es im nächsten Blogbeitrag um die Planung und Vorbereitung offener mathematischer Spiel- und Lernfelder geht, möchte ich dir gern ein Vertiefungsangebot vorschlagen:

  • Wenn du in einer Kita tätig bist: Vergleiche doch mal den Ansatz der offenen Spiel- und Lernfelder mit der klassische Angebotspädagogik (z.B. Alle Kinder malen zur gleichen Zeit ein Dreieck, ein Viereck und einen Kreis.).
  • Wenn du in der Grundschule tätig bist: Vergleiche doch mal den Ansatz der offenen Spiel- und Lernfelder mit frontalen Unterrichtsmethoden (z.B. Alle Kinder lösen zur gleichen Zeit die gleichen 20 Malaufgaben im Buch.)
  • Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für dich im Kontext der eigenen pädagogischen Arbeit in bunt gemischten Gruppen in denen die Kinder ganz verschieden lernen?

Gern kannst du in der Zwischenzeit auch genauer nachlesen in:

Alle Kinder sind Matheforscher: Frühkindliche Begabungsförderung in heterogenen Gruppen

Ich bin schon sehr auf deine Fragen und Kommentare gespannt. Bis zum nächsten Mal wünsche ich dir eine gute Zeit mit vielen mathematischen Augenblicken,

Mandy Fuchs

Offene mathematische Spiel- und Lernfelder

Irgendwie merken wir Erwachsene täglich: Kinder lernen viel, Kinder lernen anders als wir früher gelernt haben, Kinder lernen verschieden und nicht jedes Kind lernt zur gleichen Zeit dasselbe. Veränderte Sichtweisen in Bezug auf dieses vielfältige Lernen von Kindern und die damit im Zusammenhang stehende neue Lernkultur führten auch in der aktuellen mathematikdidaktischen Diskussion der letzten Jahre zu einem Paradigmenwechsel. Auch Mathematiklernen wird als selbstgesteuerter Prozess verstanden, in dem das lernende Kind sein Wissen aktiv konstruiert und in sein vorhandenes Wissensnetz einbindet. Dies geschieht bereits von Geburt an und auf der Grundlage individueller Erfahrungen und in sozialer Interaktion sowie in Auseinandersetzung mit der Umwelt. Es kann folglich nicht mehr darum gehen, dass Denkweisen von uns Erwachsenen (egal ob als Eltern oder als Pädagogen) zu Lernpfaden für alle Kinder gemacht werden. Zudem zeigen sich sowohl im Elementar- als auch im Primarbereich veränderte Sichtweisen bezüglich der Lerninhalte: Es geht nicht mehr nur vordergründig darum Sach- und Fachwissen zu vermitteln und einzuüben, sondern um die Förderung allgemeiner Kompetenzen, wie z.B. Problemlösekompetenz oder die Freude am kreativen Denken, die vor allem wiederum neue mathematische Denk- und Handlungsweisen anregen. Konkret heißt dies, darüber nachzudenken, welche Ansätze und Konzepte zur Gestaltung mathematischer Bildung zeitgemäß sind. Deshalb möchte ich in den folgenden Blogbeiträgen eine entsprechende mathematikdidaktische Lernform vorstellen, nämlich die von uns konzipierten offenen mathematischen Spiel- und Lernfelder. Heute geht es speziell um die Spezifik dieser offenen Spiel- und Lernfelder. Die nächsten Blogbeiträge stehen dann unter folgenden Schwerpunkten:

Zur Spezifik offener Spiel- und Lernfelder

„Insofern sollten Konzeptionen elementaren mathematischen Lernens den Kindern die Gelegenheit geben, in geeigneten Situationen entdeckend, auf ihren eigenen Wegen und im Austausch mit anderen zu lernen.“ (Gasteiger 2010, S.105)

Ein solches Konzept, bei dem die Kinder aktiv-entdeckend und auf ihre eigene Weise sowie in Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen die Welt der Mathematik erforschen und erkunden können, sind offene mathematische Spiel- und Lernfelder. Sie sind in erster Linie kindorientiert, d.h., dass jedes teilnehmende Kind sich entsprechend seinem individuellen Entwicklungs- und Lernstand sowie seinen speziellen Interessen bei der Bearbeitung eines ausgewählten Rahmenthemas, z.B. „Forschen mit Wäscheklammern“ oder „Sudokus selbst erstellen“, einbringen kann. Im Sinne des aktiv-entdeckenden Lernens bieten offene mathematische Spiel- und Lernfelder vielfältige Möglichkeiten für Entdeckungen und umfassen „naturgemäß“ unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Jedes teilnehmende Kind wirkt entsprechend seinen Voraussetzungen an eigenen oder gestellten Problemfindungen mit und hat die Chance ein Thema erfolgreich zu bearbeiten. Das gewählte Rahmenthema sollte deshalb möglichst:

  • die Neugier und das Interesse der teilnehmenden Kinder wecken,
  • einen leicht verständlichen Einstieg haben und
  • eine reichhaltige mathematische Substanz, inhaltliche Offenheit und Problemhaftigkeit bieten.

Dieser Ansatz entspricht der im Grundschulbereich immer mehr an Bedeutung gewinnenden Form der natürlichen Differenzierung.

Offene mathematische Spiel- und Lernfelder sind deshalb für eine individuelle und differenzierte mathematische Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Lernausgangslagen und Lernwegen, vielfältigen Lerntypen und Lernbedürfnissen sowie ganz individuellen Begabungspotenzialen im Sinne eines inklusiven Lernansatzes sehr gut geeignet. Von Freispielsituationen im Kindergarten oder von sehr offenen Unterrichtsformen (z.B. Werkstattunterricht) grenzen sie sich dahingehend ab, dass die Lernbegleiter problemorientierte Aktivitäten zu einem Thema mit vorher bewusst ausgewähltem Material anregen. Idealerweise können die Kinder zwischen verschiedenen offenen Spiel- und Lernfeldern (auch aus anderen offenen Lernangeboten) wählen. Das Thema selbst sollte durch eine gewisse Komplexität gekennzeichnet sein und Möglichkeiten des bildungsbereichsübergreifenden Lernens bieten. Jedem Kind steht ausreichend Zeit zur individuellen Auseinandersetzung mit dem Material sowie mit eigenen und angeregten Fragestellungen zur Verfügung. Während sich mathematische Lernprozesse in Freispielphasen oder im Werkstattunterricht spontan aus den Handlungen und Ideen der Kinder entwickeln, werden sie in offenen Spiel- und Lernfeldern auf der Grundlage von Beobachtungen durch nicht einengende Anregungen, Impulse oder Problemstellungen initiiert. Solche offenen Lernformen sind durch eine Ausgewogenheit zwischen Lernen auf eigenen Wegen (Selbstbildung, Eigenkonstruktion) und Von- und Miteinanderlernen (soziale Interaktion, Ko-Konstruktion) gekennzeichnet. Der Auswahl geeigneter Materialien mit einem gewissen mathematischen Potential und einem hohen Aufforderungscharakter zum Forschen, Entdecken und Experimentieren kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu.

Geeignete Materialien mit mathematischem Potential:

  • Bausteine in verschiedenen Formen und Farben
  • Gleiches Material in großer Menge, z.B. je 1000 Eisbecher, Eislöffel, kleine Holzwürfel, 1-Cent-Münzen, …
  • Muggelsteine
  • Geobretter, Tangram, Pentominos (Fünflinge)
  • gemeinsam gesammelte Knöpfe, Wäscheklammern, Toilettenpapierrollen, Joghurtbecher, Schraubverschlüsse von Tetrapacks, Büroklammern, …
  • Legeplättchen in verschiedenen Formen und Farben (Dreiecke, Vierecke, Kreise)
  • Scheuerschwämme, Wattestäbchen
  • Verpackungsmaterialien (Eierkartons, Teeverpackungen)
  • Naturmaterialien (Nüsse, Kastanien, Steine, Muscheln, Zapfen, …)
  • Spielwürfel in verschiedenen Ausführungen

Oft sind es also ganz simple Alltagsmaterialien, die andere Menschen wegschmeißen. Sie entsprechen meiner Philosophie des Numeracy-Ansatzes und lassen sich oft mit den Kindern gemeinsam sammeln bzw. durch Eltern günstig beschaffen. Das tolle an diesen Materialien ist, dass sie oft den drei Kriterien EINFACH, BILLIG und GENIAL entsprechen.

Bevor es im nächsten Blogbeitrag um Merkmale offener mathematischer Spiel- und Lernfelder geht, möchte ich dir gern drei Vertiefungsangebote unterbreiten. Wenn du Lust hast, dann kannst du dich mit folgenden Dingen beschäftigen:

  • Erkunde, welches Material du bei dir zu Hause, in deiner Kita oder in deiner Grundschule zur Verfügung hast. Welches besondere mathematische Potenzial steckt in diesen Materialien? Also was alles könnte man damit erkunden?
  • Überlege gemeinsam mit deinen Kindern (zu Hause, in der Kita oder in der Grundschule), welche Haushaltsdinge und/oder Abfallprodukte ihr in der nächsten Zeit sammeln wollt, um damit mathematische Erkundungen und Entdeckungen durchführen zu können.
  • Welche Themen für offene mathematische Spiel- und Lernfelder ergeben sich aus deinen Beobachtungen der Kinder im Alltag (zu Hause, in der Kita oder in der Grundschule)?

Ich bin schon sehr auf deine Fragen und Kommentare gespannt. Bis zum nächsten Mal wünsche ich dir viel Freude und spannende Materialerkundungen,

Mandy Fuchs