Immer wenn meine kleinen Matheforscher die mathematische Welt mithilfe von Alltagsmaterialien erforschen, rege ich sie an, Forscherblätter zu ihren Entdeckungen zu gestalten. Darüber habe ich euch hier im Blog schon des Öfteren berichtet. Immer wieder werde ich gefragt, was denn überhaupt solche Forscherblätter sind und wie die Kinder sie erstellen. Darum soll es heute gehen.
Aber zunächst frage ich dich als Lernbegleiterin einer Schulklasse oder einer Kindergartengruppe oder auch als Lernbegleiter deines eigenen Kindes heute noch einmal: Was meinst du, wie funktioniert lernen? Wie lernst du am besten? Was für ein Lerntyp bist du? Ich zum Beispiel bin ein sehr strukturierter Typ, ich liebe systematische Übersichten. Am besten, wenn ich sie mir selbst und allein erarbeite. Aber ich probiere auch gern mit anderen etwas aus. Und du? Brauchst du Bilder, musst du es selbst tun oder brauchst du die Diskussion mit anderen? Probierst du auch gern etwas aus oder bist du eher ein kreativer Chaot, der intuitiv vorgeht? Wie auch immer! Alles hat seine Berechtigung und jedes Vorgehen ist wertvoll! Ja und so wie wir Erwachsenen ganz unterschiedliche und individuelle Lernwege beschreiten, tun es auch unsere Kinder … wenn man sie lässt! Sie haben vielfältige Ideen, gehen unterschiedlich vor, lernen in ihrem eigenen Tempo, gern auch mit anderen und nutzen ihre eigenen und ganz intuitiven Theorien.
Ursprünglich ist Lernen durch folgende noch immer geltenden Merkmale geprägt:
- Der Antrieb zur Nachahmung: Kinder beobachten und machen nach, sie brauchen also Vorbilder an denen sie sich orientieren können (Rolle von Eltern und von pädagogischen Fachkräften).
- Der unaufschiebbare Drang zur Selbständigkeit: Kinder fühlen sich unwohl und missverstanden, wenn ihnen alles abgenommen und erklärt wird. Sie wollen nicht in eine passive und unmotivierte Konsumentenrolle gedrängt werden.
- Die Zurückweisung von Belehrungen: Kinder wollen Selbsterfahrungen sammeln und Selbstwirksamkeit erleben, sie brauchen deshalb Aufgaben, an denen sie wachsen können.
- Körpererfahrungen: Kinder wollen mit allen Sinnen lernen, die Welt „begreifen“ und ihren Bewegungsdrang ausleben.
- Die soziale Dimension von Lernen und Bildung: Niemand kann in Isolation lernen, Kinder brauchen Bindungspersonen und Gemeinschaften, in denen sie sich wohl und aufgehoben fühlen, denn ohne Bindung kann keine Bildung stattfinden.
Ausgangspunkt moderner Lernkonzepte, die aktuell in der Pädagogik diskutiert werden, ist zudem die Vorstellung, dass jedes Kind seine Welt selbst erobert. Das meint, der Lernende eignet sich Lerngegenstände aktiv auf der Grundlage bereits vorhandener individueller Handlungs- und Denkstrukturen sowie bisheriger Erfahrungen an. Sowohl das entdeckende Lernen als auch eine angemessene Lernbegleitung spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Diese – man nennt sie ko-konstruktivistische – Sichtweise betont neben der Eigenständigkeit des Kindes ebenso seine Neugier und seinen Forscherdrang von Natur aus. Jedes Kind möchte lernen und seine Umwelt erforschen, um seinem Bedürfnis nach Erleben von Kompetenz und Wirksamkeit, nach Autonomie und Selbstbestimmung nachzugehen. Das Lernen liegt demnach in der Verantwortung des Kindes, welches sich als kompetenter Akteur von Geburt an autonom mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Lernen ist also ein Prozess der Selbstorganisation, wobei insbesondere die Stärken und individuellen Gaben jedes Menschen in den Mittelpunkt rücken. Lernen ist demzufolge immer individuell und von Mensch zu Mensch verschieden.
„Jedes Kind zeichnet sich durch eine eigene Persönlichkeit aus. Es beschreitet individuelle Wege, um ein Verständnis für seine Umwelt aufzubauen und Dingen eine Bedeutung, einen Sinn zu verleihen. Die pädagogisch Handelnden werden dem durch die Individualisierung von Bildungsprozessen bei der gemeinsamen Gestaltung der Interaktion gerecht.“ (Fthenakis u.a. 2009, S. 30)
In meinen Projekten biete ich zum Beispiel meinen kleinen Matheforschern anregende Lernumgebungen. Oft sind es Alltagsmaterialien (z.B. Gummibären, Wattestäbchen, Centstücke, Wäscheklammern, Deckel von Getränkeflaschen, …) mit einem hohen mathematischen Potenzial zum Zählen, Sortieren, Strukturieren, Rechnen, Problemlösen, Knobeln, kreativen Gestalten, Experimentieren und Entdecken. Ich rege die Kinder an, diese Materialien selbst zu erforschen und eigene Forscherfragen zu finden. Wenn sie dann diesen selbst gestellten Forscherfragen auf den Grund gehen, haben sie die Möglichkeit, über Ziele, Inhalte, Tempo, Vorgehensweisen und Lernformen individuell zu bestimmen. Kleine Matheforscher lernen so stets selbstbestimmt, interessenorientiert, eigenverant-wortlich, selbstorganisiert, sehr differenziert und individuell. Sie lernen nachhaltig und mit viel Freude. Ihre Forscherergebnisse stellen sie oft auf einem Forscherblatt zusammen, welches sie in der Auswertungsphase dann auch präsentieren. Somit haben wir eine gute Grundlage, um miteinander ins Gespräch zu kommen und über geniale Ideen oder aber auch fehleranfällige Strategien zu diskutieren.
Ich werde also immer wieder gefragt, wie solche Forscherblätter aussehen und wie meine Matheforscher sie anfertigen? Meine Antwort lautet: Ganz individuell! Damit ihr liebe Blogleser und Blogleserinnen eine Vorstellung von solchen Forscherblättern bekommt, stelle ich euch heute einige vor.
Zwei Beispiele für Forscherblätter von Vorschulkindern
Im Sommer haben wir uns mit dem Erforschen von Eiskugelmöglichkeiten beschäftigt. Herauszufinden waren viele (oder sogar auch alle) Möglichkeiten, die es gibt, wenn man drei Kugeln Eis kauft und es beim Eismann genau drei Sorten, z.B. Schoko, Erdbeere und Vanille gibt. Das sind die Forscherblätter von Lara, Leonardo und Paul:
Immer wieder erforschen meine Kinder gern den Inhalt von Smartiespackungen. Hierzu stelle ich euch demnächst auch die Forscherkartei (wie die Forscherkartei zur Gummibärenmathematik) zur Verfügung. Hier seht ihr wie Lanis und Leonardo, zwei 6-jährige Matheforscher, die Farbverteilung der Smarties auf ihrem Forscherblatt in einem Schaubild dargestellt und miteinander verglichen haben:
Vier Beispiele für Forscherblätter von Grundschulkindern
Zwei Drittklässler haben hier ihre Entdeckungen am Kalender auf einem Forscherblatt dargestellt:
Als wir uns mit Fermiaufgaben beschäftigt haben, hatte Helen (4.Klasse) die Idee, zu diesem Aufgabentyp ein Infoblatt für andere Kinder am Computer zu erstellen. Dies setzte sie total eigenständig in nur einer Forscherstunde am Klassen-PC um. Klicke hier, um es dir anzusehen: fermi
Manchmal enthält ein Forscherblatt auch „nur“ die übersichtliche Darstellung eines Rechenweges oder verschiedener Lösungsmöglichkeiten wie hier, bei einer Fußballknobelei:
Jannis (3. Klasse) liebt Zahlen- und Rechentricks und bringt diese oft mit in die Schule zum Matheunterricht. Einmal durfte er nicht nur den Trick vorführen und seine Klassenkameraden beeindrucken, sondern auch ein Forscherblatt dazu erstellen. Leider behielt er es wie ein wahrer Rechenkünstler für sich, wie genau der Trick funktioniert! Zum Ansehen seines Forscherblattes klicke hier: jannis-zahlentrick
So ich glaube eins ist ganz deutlich geworden: Für das Erstellen von Forscherblättern gibt es kein Rezept und keine Anleitung. Unsere Aufgabe als Erwachsene ist es, jedes Kind, also jeden kleinen Weltentdecker und Matheforscher, je nach subjektivem Lerntyp ganz individuell zu begleiten und dabei seine spezifischen Bedürfnisse, Stärken und Ideen zu berücksichtigen. Bei einem Forscherblatt gibt es eigentlich auch kein „richtig“ oder „falsch“. Und das wichtigste: Jedes Forscherblatt ist einmalig! So wie jedes Kind!
Ich wünsche euch viele tolle Augenblicke und AHA-Erlebnisse, wenn eure Kids Forscherblätter erstellen!
Bis bald Mandy Fuchs