Ich grüße dich zum letzten Blogbeitrag zu den offenen mathematischen Spiel- und Lernfeldern. Nachdem ich sie dir zunächst allgemein vorgestellt habe und dann explizit auf die Merkmale offener Spiel- und Lernfelder eingegangen bin, stand beim letzten Beitrag die Planung und Vorbereitung im Vordergrund. Heute nun möchte ich dir einen möglichen methodischen Rahmen zur konkreten Umsetzung vorstellen. Denn trotz der bereits genannten sechs Merkmale bzgl. der Offenheit mathematischer Spiel- und Lernfelder ist es empfehlenswert, bestimmte Rahmenbedingungen für gelingende Bildungsprozesse einzuhalten. Dazu gehören Struktur gebende und immer wieder kehrende Abläufe bzw. Rituale, die den Kindern (und übrigens auch den Lernbegleitern) einerseits die notwendige Sicherheit und andererseits die größtmögliche Freiheit bieten. Somit können die Kinder innerhalb dieses gesteckten Rahmens ihre Kreativität und Verschiedenheit entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen frei umsetzen. Gerade darin zeigt sich meines Erachtens eine konsequent gelebte Kindorientierung und spiegelt das aktuelle Bild vom Kind wider. Und genau diese prägt die Einstellung und Haltung von Lernbegleitern zu Kindern und lässt sie Selbstgestalter ihrer Entwicklung sein.
Von den Lernbegleitern (pädagogische Fachkräfte in Kitas oder Lehrkräfte in Grundschulen) werden also neben einem großen Maß an Flexibilität und Spontanität auch ein angemessenes Zeitmanagement sowie vor allem ein sensibler, neugieriger und stets kindorientierter Blick gefordert. Dies sind zweifelsohne immer wieder enorme Herausforderungen im Gegensatz zu geschlossenen und frontalen Lernformen, in denen alle Kinder zur gleichen Zeit das gleiche tun (z.B. das Basteln von vorgegebenen Osternestern oder das Abarbeiten von Übungsaufgaben aus dem Schulbuch). Jedoch überraschen die Forscherfragen und die Ideen der Kinder sowie deren begeisterte Umsetzung stets aus neue.
Für den konkreten Ablauf offener Spiel- und Lernfelder im Elementar- und Primarbereich hat sich innerhalb unserer Erprobung eine dreigeteilte Schrittfolge bewährt: eine Einstiegsphase, eine Forscherphase sowie eine Präsentations- und Auswertungsphase. Diese Abfolge ähnelt damit auch Aktivitäten zur Förderung kreativer Prozesse, welche ebenfalls in drei Phasen eingeteilt sind, in die Problemphase, die Such-, Lösungs- und Verwirklichungsphase sowie in die Reflexionsphase.
Die dreigliedrige Schrittfolge möchte ich dir nun genauer vorstellen:
Innerhalb der Einstiegsphase geht es darum, durch einen herausfordernden kleinen Auftrag oder ein geeignetes Alltagsproblem oder eine spannende Fragestellung, die Neugier und das Interesse der Kinder für das offene Rahmenthema zu wecken. Wenn die Kinder das Material noch nicht kennen oder lange nicht damit gearbeitete haben, kann in dieser Phase auch das Material kennengelernt bzw. erkundet werden. Die Hauptrolle der Lernbegleiter besteht im Beobachten der Kinder. Welche ersten Ideen entwickeln sie? Welche Fragestellungen tauchen auf? Welche besonderen Themen werden bearbeitet?
In Anlehnung an diese Beobachtungen zu den Tätigkeiten der Kinder kann dann in die Forscherphase übergeleitet werden. Innerhalb dieser können die Kinder eigene Fragestellungen, ein offenes Ausgangsproblem oder einen problemhaften Erkundungsauftrag bearbeiten. Die offene und prozessorientierte Problembearbeitung ermöglicht den Kindern hierbei eigene Ideen zu realisieren. Eine besondere Herausforderung für die Lernbegleiter ist eine angemessene Begleitung der Kinder beim mathematischen Forschen und Entdecken. Hilfestellungen oder gar Korrekturen sollten entsprechend dem Motto „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“ erfolgen. Hierbei kann es aber z.B. sinnvoll sein, Impulse in Form von Anregungen zu geben. Das Stellen von Fragen hat sich nach unseren Erfahrungen oft als ungünstig erwiesen, denn diese könnten den Forschungsprozess der Kinder bremsen oder ganz aufhalten. Zudem ist es angebracht die Ideen der Kinder aufzugreifen und Interesse daran zu zeigen. Beim Einsatz unserer offenen Spiel- und Lernfelder hat es sich als erfolgreich gezeigt, wenn Lernbegleiter den Weg des Entdeckens und Forschens der Kinder sprachlich begleiten, mit den Kindern angemessene Dialoge führen und ihnen somit Prozesse bewusst machen. Des Weiteren ist es empfehlenswert den Forscherprozess der Kinder zu dokumentieren. Hierzu sind Notizen zu sprachlichen Äußerungen der Kinder sowie Fotos der Eigenproduktionen (auch Zwischenergebnisse) der Kinder oder Fotos auf denen die Mimik und Gestik der Kinder beim Forschen sichtbar ist, geeignet. Kleine „Bildfolgen“ – also mehrere Fotos des Ablaufs – sind für Kinder besonders gut nachvollziehbar und helfen bei der späteren Präsentation und Reflextion sowie in der Arbeit mit dem Portfolio. Diese Dokumentationen können also sowohl in der Präsentations- und Auswertungsphase mit den Kindern genutzt werden, als auch für spätere Team- und Elterngespräche zum individuellen Entwicklungsstand und zu besonderen Stärken der Kinder. Die Lernbegleiter sollten während der Begleitung auch auf die Ideen der Kinder bzgl. der Nutzung von Hilfsmitteln und besonderer Materialien eingehen, diese wenn möglich zulassen bzw. Tipps zur Nutzung dieser entsprechend den individuellen Vorgehensweisen der Kinder geben. Während der Forscherphase ist es normal, dass sich Kinder phasenweise eher allein mit ihren Ideen bzw. Herausforderungen auseinander setzen und erst danach oder nach Aufforderung mit anderen in einen kommunikativen Austausch gehen.
In der abschließenden Präsentations- und Auswertungsphase können die Kinder ihre verschiedenen Ergebnisse vorstellen und über ihre unterschiedlichen Vorgehensweisen und Entdeckungen diskutieren. Gemeinsam mit dem Lernbegleiter reflektieren sie über ihr Denken und Lernen innerhalb der Forscherphase. Fragen wie: „Bin ich mit meinem Ergebnis zufrieden?“, „Habe ich es mir so vorgestellt?“ (geistige Vorwegnahme), „Wenn ich einen anderen Weg gewählt hätte, zu welchem Ergebnis wäre ich gelangt?“ oder „Was könnte ich verändern, um …?“ bieten einen ersten Einstieg in die Ebene der Metakognition (das Nachdenken über das eigene Lernen) und verbinden in geeigneter Weise Lernergebnisse und Lernprozesse. Dies wiederum kann vom Lernbegleiter und von den Kindern zur Dokumentation in Lerngeschichten und Portfolios genutzt werden. Eine besondere Form der Präsentation kann u.a. das Gestalten einer Ausstellung sein, in der die Kinder ihre Eigenproduktionen vorstellen können und von allen anderen beteiligten Kindern und Erwachsenen (auch Eltern) somit eine gewisse Wertschätzung erfahren.
Generell sollten Lernbegleiter innerhalb der drei Phasen stets alters- und entwicklungsgemäß die jeweiligen Interessen der Kinder berücksichtigen, d.h. nicht jedes Kind muss bis zur Präsentations- und Auswertungsphase kommen. Es wäre auch ganz im Sinne der Philosophie der offenen Spiel- und Lernfelder, wenn z.B. Kinder in der Einstiegsphase erst einmal im Flow verweilen.
Wenn du möchtest, kannst du jetzt mit dem Thema „Wir forschen mit Wäscheklammern“ weitermachen. Wie würdest du die Einstiegsphase gestalten? Hier gibt es kein richtig und kein falsch, sondern je nach den Bedürfnissen deiner Kinder und euren bisherigen Erfahrungen mit offenen Lernformen kannst du den Einstieg sehr offen gestalten und den Kindern lediglich eine große Menge an Klammern zur Verfügung stellen oder du denkst dir einen ersten kleinen Erkundungsauftrag aus, z.B. Wie kann man Wäscheklammern eigentlich sortieren? Dann schau einfach, was passiert und sei gespannt auf die Ideen der Kinder. Lass dich dann weiter von ihnen in die Forscherphase führen. Oft passiert dies nämlich ganz automatisch. Wenn ihr ein solches offenes Arbeiten noch nicht gewohnt seid, dann kannst du selbst einige offene Forscherfragen zur Auswahl reingeben, z.B. Wer baut aus Klammern den höchsten Turm? Wie könnt ihr aus Klammern Kreise legen? Welche Wäscheklammern tragen das meiste Gewicht? Die Kinder können dann ein Forscherproblem davon auswählen und bearbeiten. Diese Forscherfragen können jeweils mit Schätzungen bzw. Vermutungen im Vorfeld begleitet werden. Je nachdem, was in der Forscherphase umgesetzt wurde, kann dann in der Präsentations- und Auswertungsphase gemeinsam mit den Kindern über ihre Forscherwege, ihre Entdeckungen usw. gesprochen werden und eine „Klammerausstellung“ aufgebaut werden.
Wenn du dich noch weiter inspirieren lassen möchtest, dann findest du im Buch
Alle Kinder sind Matheforscher: Frühkindliche Begabungsförderung in heterogenen Gruppen
insgesamt 24 offene mathematische Spiel- und Lernfelder, die zum sofortigen Ausprobieren auf dich und deine Kinder warten.
Wenn du magst, kannst du mit dem Planungsraster (planungsraster), das ich für dich als Download bereit stelle und auf der Grundlage deiner Beobachtungen bei den Kindern selbst ein Thema für ein offenes mathematisches Spiel- und Lernfeld vorbereiten. Setze es dann ein und reflektiere danach (vielleicht auch gemeinsam im Team). Du kannst auch gern folgende Fragen zur Selbstreflektion nutzen:
- War ich während des Angeplanungsrastebots offen für die Ideen der Kinder?
- Habe ich die Kinder ko-konstruktiv durch Impulse zur Realisierung eigener Ideen begleitet?
- Habe ich problemhafte Erkundungsaufträge gestellt und die prozessorientierte Problembearbeitung der Kinder unterstützt?
- Habe ich die Kinder zur Dokumentation auf individuelle Weise angeregt?
- Wie und was habe ich beobachtet und dokumentiert und was kann ich daraus schlussfolgern?
- Was haben die Kinder entdeckt, erforscht und dabei gelernt?
Ich wünsche dir einfach viel Freude beim Ausprobieren und bin wie immer sehr gespannt auf deine Kommentare und Fragen. Bis zum nächsten Beitrag, da wird es übrigens um Möglichkeiten für mathematische Alltagserkundungen zu Hause mit den Eltern gehen, grüße ich dich herzlich,
Mandy Fuchs